Immer nur brüllen oder gehts auch freundlich?
Der Herr Papa befindet: Aus dem Jungen wird sowieso nichts, den stecke ich in ‘ne Koch-Lehre. Da ist Hans 14 Jahre alt. Er steht am ersten Lehrtag vorm Küchenchef und hat Bammel. Wir schreiben das Jahr 1968.
Der Küchenchef brüllt quer durch den Raum:
„Holt mal jemand den neuen Wichser hier ab!“
Hans stellt fest: Das klingt nicht freundlich, aber sicherheitshalber fragt er ein wenig später bei einem älteren Kollegen nach:
„Du, sag mal, was ist eigentlich ein Wichser?“
Heute ist der Ton viel respektvoller. Natürlich besonders dann, wenn du’s gut gemacht hast.“
„Zepp, du Arschloch, das soll ein englisch gebratenes Rinderfilet sein?!“
(70-er Jahre, im Kempinski übers Mikrofon in der Küche vor 40 Mitarbeitenden)
Auch Ludwig Maurer, Restaurant STOI, hat die ganze Tonleiter erlebt. „Früher wurde man zusammengeschissen. Das gibt’s nur noch selten – hier spielt der Fachkräftemangel eine Rolle. Es ist sauschwer gute Leute zu finden; das kann sich keiner mehr erlauben.“
Kommt der Wandel zum guten Ton also gar nicht aus menschlicher Einsicht, sondern aus wirtschaftlicher Notwendigkeit? Jockl Kaiser, Meyers Keller, meint dazu:
„Ich stelle bei jungen Kollegen sehr wohl eine Veränderung fest, gerade bei den JRE. Ein Umdenkungsprozess ist dringend notwendig, will man auf die schwierige Personal-Situation reagieren. Da wird die Herausforderung zur Chance für die Branche.“
Reißen sich jetzt alle zusammen, weil sonst keiner mehr in der Küche arbeiten will? Hubert Obendorfer, Landhotel Birkenhof, sagt’s frei heraus: „Bei Stress gibt’s schon mal nen dummen Spruch, aber ich entschuldige mich schon dafür. Insgesamt gibt es einen Wechsel, es sind noch nicht 180 Grad, aber 175 Grad sind es schon.“
Jockl Kaiser geht noch weiter: „Es geht um die Gesamt-Sichtweise von außen auf unsere Branche: Wir arbeiten nicht mehr als in vielen anderen Branchen, wir haben mittlerweile keine exotischen Arbeitszeiten mehr, da sich die gesamte Geschäftswelt um uns herum verändert hat und wir haben keinen cholerischen Chef mehr in der Küche. Es hat sich viel getan in der wundervollsten Branche der Welt! Zugegeben, nicht überall, aber der Mitarbeiter hat heute die Wahl, sich den passenden Betrieb zu suchen, und da gibt es viele!“
„Der Kalbskopf auf dem Arbeitstisch hier hat mehr Hirn als du!“
(Der beschimpfte Kollege, laut Jockl Kaiser„ein hervorragender Fachmann“, zog daraufhin seinen Schurz aus und wechselte den Beruf.)
Licht am Ende des Tunnels?
Die Zeit der großen Chefs ist vorbei. Man soll sogar manchmal regelrecht respektvolle Töne hören. Dreckige Witze zu reißen ist wohl leider immer noch üblich, besonders, wenn keine Frauen zugegen sind. Und weil früher weniger Frauen in Küche und Service gearbeitet haben, gab’s früher mehr von diesem hirnverbrannten Blödsinn.
„Witze unterhalb der Gürtellinie? Aufm Bau und unter Ärzten ist es auch nicht anders.“ (Ludwig Maurer)
„Früher wurde man als Person gebrochen, weil der Chef Spaß dran hatte. Heute beziehe ich schon während der Ausbildung jeden einzelnen mit ein. Wir sind heute Multi-Kulti in der Gastronomie. Die Person muss doch alles verstehen. Heute sitzen wir z.B. beim Frühstück an einem Tisch ohne Hierarchie.“
Hubert Obendorfer spricht hier nebenbei einen wichtigen Aspekt an: den Zusammenhang zwischen Ton, Sprachgebrauch und Macht. Worte können sehr verletzend sein. Und eine Vorgesetzte, ein Vorgesetzter muss noch viel vorsichtiger mit den Formulierungen sein. Das setzt ein demokratisches Verständnis von Zusammenarbeit voraus. Die großen Chefs früher hatten das nicht – für sie galt der despotische Führungsstil. (Das haben sie mit vielen anderen Chefs aus anderen Branchen gemeinsam.) Aber Obendorfer gibt zu bedenken: „Bloß nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, bitte nicht zu sensibel und nicht zu verweichlicht sein.“
„Am Pass bin ich wie ein Fußballtrainer. Kein Bitte, Danke, könntest du vielleicht mal. Du willst einfach das Spiel gewinnen.“
(Hubert Obendorfer über sich selbst)
Kritik als Chance, vorausgesetzt, der Ton stimmt, meint auch Jockl Kaiser:
„Die Frage ist nur, wie wird Kritik geäußert und wie wird mit Kritik umgegangen? Einzelgespräche sollten die Regel sein, sind im betrieblichen Ablauf aber leider nicht immer durchführbar. Wichtig ist, dass Mitarbeiter Kritik nicht persönlich nehmen (vorausgesetzt, sie wird fachbezogen geäußert), sondern lernen damit zu arbeiten, sich zu verbessern und zu wachsen.“
Wolfgang Müller, Genussgesellschaft UG, sieht die heutigen Mitarbeitenden aber auch durchaus kritisch:
„Früher waren wir belastbarer, wir waren ja auch aus unserem Elternhaus schon einiges gewöhnt. Heute sind die meisten echte Weicheier und man muss sie mit Samthandschuhen anfassen. Heute geht’s nicht nur um die Arbeit. Jeder kommt mit seinem Wehwehchen zur Arbeit, und die sind meistens wichtiger als der Job. Sagt man was oder gibt ihnen Druck, geben sie auf und gehen meistens. Sicherlich war das früher nicht immer richtig, aber wenn es drauf ankommt, sollte man auch mal was über sich gehen lassen. Schließlich geht es um den Gast und nicht um die privaten Problemchen.“
„Sie sind eine Null unter 800 weiteren Nullen!“
(1980er Jahre, Küchenchef im KaDeWe)
Frauen in der Küche – und schon ändert sich der Ton?
Da sind sich alle einig: Die Atmosphäre ist eine andere, und zwar eine angenehmere. Hans Zepp bringt es auf den Punkt:
„Es geht nicht mehr so rüde zu, als wenn Männer nur unter sich sind. Früher war das ein reiner Männerberuf. In der Berufsschule waren wir 40 Kerle und nur zwei Mädchen – nach kurzer Zeit nur noch eins! Ich habe 1968 die Ausbildung begonnen und erst 1992 in meiner eigenen Küche die erste Frau gehabt. “Klingt gut, aber wie ist es, wenn die Vorgesetzte eine Frau ist? „Frauen als Vorgesetzte sind mit Männern vergleichbar.“ meint Hubert Obendorfer. Johannes King vom Söl’ring Hof auf Sylt findet ebenfalls, dass der Ton der gleiche ist, egal ob der Chef eine Frau oder ein Mann ist. King erhielt in seiner Lehrzeit von seiner Chefin Frau Maier vom Johanniterbad in Rottweil eine unmissverständlich vorgetragene Botschaft: „Sie heißen zwar King, aber das dauert noch sehr sehr lange, bis Sie sich auch so fühlen dürfen.“
Jockl Kaiser zum Thema Frauen in der Küche: „Das sollte erst gar kein Anlass mehr sein, den Ton verändern zu müssen. Egal in welche Richtung. Meine besten Auszubildenden waren junge Frauen. Sie waren oft zielorientierter, gewissenhafter und geradliniger und nicht nur mit sich selbst beschäftigt.“
„Ein Koch ist ein wenig wie eine Dreckssau.“ (Ludwig Maurer über den Ton in der Küche)
Und es geht doch anders!
Nein, es war und ist nicht alles schlimm. Es gab und gibt immer diejenigen, die wertschätzend kommunizieren konnten. Seltene Exemplare, zugegeben, aber umso wertvoller. Obendorfer erinnert sich:
„Ich war schon Souschef, da hat der damalige Küchenchef zu mir gesagt: Ich bin beeindruckt, was Sie für eine Fachkompetenz haben.“
„Männer, Halbkreis! SO sieht ein Teller aus!” (1990er Jahre, Hotelküche, Zepp wird vor allen gelobt)
Die guten Chefs nutzen ihre Machtposition nicht aus, im Gegenteil: Sie spornen an und kitzeln Leistung raus. Das wirkt sich auch auf einen menschlichen Umgangston aus. Auch Ludwig Maurer kann sofort jemanden nennen:
„Der beste Chef war für mich Volker Beuchert, das ist mein Vorbild, der hat gezeigt, wie man mit Menschen umgeht. Und das bei einem 18-Stunden-Job!“
Auch Jockl Kaiser kennt keinen Blick zurück im Zorn:
„Ich hatte eine gute Ausbildung. Die Umgangsformen haben gestimmt. Dafür bin ich sehr dankbar. Lob, aber auch Kritik sind wichtige Bestandteile, damit man sich weiterentwickelt.“
Johannes King fasst zusammen:
„Früher war ich als Angestellter ein reiner Abarbeiter. Heute habe ich Mitarbeiter, Mitgestalter, Mitplaner.“
Auf die Frage, was Wolfgang Müller an Stelle seines Chefs anders gemacht hätte, antwortet er:
„Mehr miteinander sprechen und nicht nur befehlen und verlangen. Mehr Schulungen und Fachunterweisungen. Die Köche als Team sehen und nicht als Sklaven. Denn der Chef kann nur so gut sein wie sein Team, und das sollte er in jeder Beziehung vorleben können.“
Merke: Der Ton macht die Musik. Das gilt für Chefs und natürlich auch für die Mitarbeitenden. Niemand muss sich heute einen ausfallenden Umgangston mehr gefallen lassen.
Respektiert einander!
Sagt euch in freundlichem Ton
Petra van Laak
Sprüche, die wir nie mehr hören wollen:
Wer saufen kann, der kann auch früh aufstehen.
Ich glaube ich kann’s jetzt.
Jeder ist ersetzbar.
Alle Gäste sind Idioten.
Das haben wir schon immer so gemacht.
Ich muss dich erst brechen, damit ich dich dann neu aufbauen kann.Mise en place ist etwas für Feiglinge.